Kinder / Jugendliche
Auch Kinder können unter Depressionen leiden
Von ddp-Korrespondent Kai Gerullis
München/Weil der Stadt (ddp). Die Lust auf ihre Freunde ist Sophie vergangen. Langsam zieht sich die sonst so fröhliche Siebenjährige aus dem Alltag zurück. Auch der anfängliche Spaß an der Schule ist restlos verflogen. Ursache für das ausgeprägte Stimmungstief könnte eine Depression sein - ein Krankheitsbild, das Experten bei Kindern noch vor Jahren ausgeschlossen hatten. "Mittlerweile haben Studien aber gezeigt, dass etwa drei bis vier Prozent der Kinder in den USA an Depressionen leiden", sagt Gunhild Kilian-Kornell, Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland.
Außer dem Namen hat die Erkrankung nur wenig mit den Depressionen der Erwachsenen gemein. Je nach Altersstufe variieren die Symptome, dadurch lassen sich die psychischen Störungen nur schwer diagnostizieren. Umso wichtiger ist es, dass Eltern ihre Kinder genau beobachten, wenn sich diese über längere Zeit ungewöhnlich verhalten. "Hören Kinder auf zu spielen, ist das ein klares Alarmsignal", sagt Christa Schaff, Vorsitzende des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland.
Bei Kleinkindern können verstärktes Weinen, Bauchschmerzen oder Antriebsmangel auf depressive Verstimmungen hindeuten. "Im Vorschulalter sind dann vor allem Schlaf- und Essstörungen, ein Rückzug aus der Gemeinschaft im Kindergarten oder aggressives Verhalten mögliche Symptome", betont Schaff. Ältere Kinder zeigen hingegen Schulangst oder einen nicht erklärbaren Leistungsabfall.
Die Ursachen für Depressionen sind bei Kindern vielfältig. Sie können sich nach dem Verlust eines Elternteils entwickeln, aber auch eine Reaktion auf soziale Probleme in der Familie - wie Arbeitslosigkeit - sein. "Ein möglicher Auslöser ist auch der Wegzug des besten Freundes oder ein ungewollter Ortswechsel des Kindes", sagt Kilian-Kornell. Auch wachsender Druck in der Schule oder Hänseleien durch Klassenkameraden können bei den Jüngsten ein seelisches Loch aufreißen.
Erste Anlaufstelle bei psychischen Problemen ist der Kinder- und Jugendarzt. "Er muss körperliche und organische Ursachen ausschließen", sagt Kilian-Kornell. Denn auch der weit verbreitete Wurmbefall könnte ähnliche Beschwerden auslösen. Bei der Diagnose helfen spezielle Fragebögen oder ein so genanntes Bauchwehprotokoll, das die Kinder zusammen mit ihren Eltern ausfüllen. "In der Vergangenheit wurden Depressionen bei Kinder häufig nicht ernst genommen", sagt Kilian-Kornell. "Eltern sollten aber immer ihrem Gefühl vertrauen und bei einem ernsthaften Verdacht auf eine Depression notfalls eine zweite Meinung einholen."
Werden bei Kindern wie Sophie depressive Verhaltensmuster festgestellt, überweist der Arzt den jungen Patienten in der Regel an einen Kinderpsychiater. "Die Behandlung setzt primär auf psychotherapeutische Methoden und nicht auf Medikamente", betont Schaff. Diese werden einzeln angeboten, meist treffen sich Kinder dazu aber auch mit ihrem Therapeuten in kleinen Gruppen.
Fest integriert in den Therapieplan ist die Familie. "Das ist sehr wichtig, denn Kinder sind manchmal der Spiegel der Seele eines Elternteils", sagt Schaff. Mitunter leidet beispielsweise die Mutter oder der Vater an einer versteckten Depression, die von den Kindern unbewusst übernommen wird. "Lassen sich die Eltern behandeln, entlastet das oft auch das Kind", erläutert die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.
Die Inhalte der Therapiesitzungen hängen von der Art des depressiven Verhaltens ab. "Beispielsweise lernen die Kinder, wie man Gefühle erkennt und mit ihnen umgeht", erklärt die Kinderpsychotherapeutin. Haben Hänseleien den Weg ins Stimmungstief geebnet, stärken die Therapeuten das Selbstwertgefühl der Kleinen. "Dabei kann man auch aktuelle Themen wie die Fußball-WM aufgreifen. Auf diese Weise macht man den Kindern klar: 'Wir sind wer!'", erläutert Schaff. Bei ängstlichen Kindern lautet das Therapieziel meist, die soziale Kompetenz zu stärken. Egal welche Art der Therapie gewählt wird - wie lange die Behandlung dauert, hängt individuell vom Kind und den Ursachen der Verstimmung ab.
Weiterführende Informationen
Lesen:
Lawrence L. Kerns: "Hilfen für depressive Kinder. Ein Ratgeber"
Huber, Bern, 1996, ISBN: 3456828152, 19,95 EUR
Ulrike Schäfer: "Depressionen im Kindes- und Jugendalter"
Huber, Bern, 1999, ISBN: 3456832222, 10,95 EUR
Christiane Nevermann: "Depressionen im Kindes- und Jugendalter. Erkennen, Verstehen, Helfen"; C.H. Beck, 2001, ISBN: 3406475663, 12,50 EUR
Gunter Groen: "Depressive Kinder und Jugendliche"
Hogrefe-Verlag, 2002, ISBN: 3801713288, 32,95 EUR
Internet:
Das Deutsche Grüne Kreuz bietet auf seinen Internetseiten Fakten über Symptome und Auslöser von Depressionen bei Kindern. ("Depressionen bei Kindern" in die Suche eingeben)
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte informiert über Depressionen bei Kindern. ("Depressionen" in die Suche eingeben)
Der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Internet.
Quelle: Lichtblick-newsletter.de Nr.185 vom 07.08.2006
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