Kinder / Jugendliche

Hyperaktive Kinder: Experte warnt vor Medikamenten

Darmstadt (dpa) - Vor einer generellen Behandlung so genannter hyperaktiver Kinder mit Medikamenten hat der Darmstädter Pädagogikprofessor Manfred Gerspach gewarnt. "Im überwiegenden Teil der Fälle liegen keine körperlichen sondern soziale Störungen vor", sagte Gerspach bei einem Kongress über "Aufmerksamkeitsdefizite" (ADS) am Freitag in Darmstadt. Die Ursachen von ADS seien nicht mit Pillen, sondern mit neuen pädagogischen Konzepten zu beheben. Nach Angaben von Fachleuten zeigen heute bis zu 40 Prozent der Kinder Verhaltensauffälligkeiten. Die Bezeichnung ADS habe sich zur "Modekrankheit" entwickelt, die allen verhaltensgestörten Kindern "aufgestempelt" werde. "Eine wirkliche Diagnose wird meist nicht gestellt", kritisierte Gerspach, Dekan des Fachbereich Sozialpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt und Organisator der Tagung. Nach Angaben von Gerspach wurden 1986 deutschlandweit rund 400 Kinder, die unter einer Hirnfunktionsstörung litten, mit Ritalin behandelt. Heute griffen mehr als 23 000 Kinder regelmäßig zu diesem Medikament, das unter das Betäubungsmittelgesetz falle. Die Ursachen der Verhaltensauffälligkeiten von Kindern seien ebenso vielfältig wie die Ausprägungen. Als Stichworte nannte Gerspach die steigende Zahl der Scheidungen und der Doppelverdiener. Dies führe zu einem "Aufmerksamkeitsdefizit" der Eltern gegenüber ihren Kindern. Hinzu komme der Leistungsdruck, mangelnde Bewegung und hoher Fernseh- und Computerkonsum. Die Schule verfüge ebenfalls nicht über entsprechende Methoden, um diesen Kindern gerecht zu werden. Die vorliegenden Forschungen zeigen für Gerspach eindeutig, dass durch intensive Beschäftigung mit den Kindern die Symptome verschwinden. Für die Schule bedeute dies, dass kleinere Gruppen gebildet werden müssten. Durch neue Lehrmethoden solle außerdem der einzelne Schüler besser gefördert werden. Notwendig sei die Einstellung von Schulsozialarbeitern, die sich zusätzlich um betroffenen Kinder kümmern könnten. "All das kostet Geld", führte der Professor aus, "aber es rechnet sich, weil gesellschaftliche Verschiebungen damit verhindert werden können." Eine Massen- Medikamentierung sei in jedem Falle der falsche Weg.

Quelle: Netdoktor.de vom 09.11.2002

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