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Psychotherapien sind besser als ihr Ruf

Auf den richtigen Therapeuten kommt es an
Von ddp-Korrespondentin Ilka Lehnen-Beyel
Leinfelden (ddp). "Ich brauche keinen Seelenklempner" und "Ich bin doch nicht verrückt" - das sind in Deutschland häufig geäußerte Standpunkte zum Thema Psychotherapie und psychische Erkrankungen. Dabei ist die wissenschaftlich anerkannte Psychotherapie alles andere als Quacksalberei: Psychotherapeutisch behandelte Patienten verspüren im Durchschnitt eine wesentlich stärkere Verbesserung ihres Zustandes als Patienten nach einer Bypass-Operation oder Arthritis-Patienten, die medikamentös therapiert werden.

Fast jeder zweite Deutsche, schätzen Experten, bekommt irgendwann im Laufe seines Lebens seelische Probleme. "Und da reden wir nicht von psychischem Schnupfen, sondern von Störungen mit Krankheitswert", stellt der Baseler Psychologe Jürgen Margraf in der Septemberausgabe des Wissenschaftsmagazins "Bild der Wissenschaft" klar. Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen und Zwangsneurosen werden nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Zukunft weiter dramatisch zunehmen.

Dennoch werden psychische Erkrankungen nicht ernst genommen. "Da muss man halt durch" oder "Reiß dich doch ein bisschen zusammen", heißt es häufig. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass sich viele Betroffene nicht dazu durchringen können, einen Spezialisten aufzusuchen.

Auch das Bild der Psychologen in der Öffentlichkeit ist hier alles andere als förderlich, zeigt es doch den strengen Therapeuten, der in der Seele das Unterste zuoberst kehrt und alle Abgründe, Ängste und geheimen Gedanken ans Licht zerrt. Auch die nahezu unübersehbare Vielfalt an Therapiemethoden und pseudo-psychologischen Ansätzen erschwert es den Betroffenen, den richtigen Therapeuten für ihr konkretes Problem zu finden.

Denn genau so arbeiten moderne Therapeuten: Sie schneidern die Therapie gezielt auf das konkrete Problem zu - und beginnen nicht etwa, den Spinnenphobiker nach seinem Verhältnis zu seiner Mutter zu befragen, wie es der Wiener Arzt Sigmund Freud zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts getan hätte.

Auch Freuds Psychoanalyse ist bei vielen Störungen schon lange nicht mehr die Methode der Wahl: So hat sich zum Beispiel in vielen Studien zum Thema Ängste und Zwangserkrankungen gezeigt, dass eine Verhaltenstherapie, die zum aktiven Selbst-Tun animiert und praktische Übungen enthält, die Störungen viel effektiver und dauerhafter beseitigen kann als eine Freudsche Analyse.

Leider ist die Wissenschaft in diesem Zusammenhang fast immer deutlich weiter als die Praxis. Etwa 80 Prozent der Betroffenen werden - wenn sie sich endlich dazu durchringen, Hilfe zu suchen - von ihrem Hausarzt behandelt. Das ist an und für sich kein schlechter Ansatz, doch die meisten Hausärzte sind weder in der Diagnose noch in der Therapie seelischer Erkrankungen geschult.

So überrascht es auch nicht, dass 85 Prozent aller psychisch Erkrankten nicht die passende Psychotherapie, sondern ausschließlich Psychopharmaka erhalten. Diese Medikamente, die bei organischen Störungen wie der Schizophrenie oder bestimmten Arten von Depressionen unverzichtbar sind, schneiden bei den meisten psychischen Problemen aber deutlich schlechter ab als gut gemachte Psychotherapien. Besonders langfristig ist eine Therapie beispielsweise bei einer Angststörung viel Erfolg versprechender, denn sie beseitigt das Problem grundlegend. Werden die Medikamente dagegen abgesetzt, kehrt die Angst meist unvermindert wieder.

Wie aber kann jemand feststellen, ob er eine Therapie braucht und welcher Therapeut für ihn der richtige ist? Ein erster Anhaltspunkt kann ein Selbsttest sein, wie er im Internet beispielsweise beim "Kompetenznetzwerk Depression" zu finden ist. Solche Tests basieren auf vier grundlegenden Kriterien: Leidet ein Mensch? Ist er in seinem täglichen Leben eingeschränkt? Kann er seine Störungen kontrollieren? Sind seine Reaktionen angemessen? Ist eines der Kriterien erfüllt, sollte ein Spezialist aufgesucht werden.

Bei der Suche nach dem passenden Therapeuten kann die Approbationsliste bei Ärztekammern oder Krankenkassen eine erste Orientierungshilfe sein, empfiehlt Margraf. Diese Organisationen erkennen nur die Arten von Psychotherapien an, deren Wirksamkeit wissenschaftlich zweifelsfrei belegt sind: die psychodynamische Therapie, zu der auch die weiterentwickelte Psychoanalyse gehört, die Verhaltenstherapie und die Gesprächstherapie.

Auf jeden Fall sollte bei der Auswahl des Therapeuten darauf geachtet werden, dass dieser sich mit der konkreten Störung auskennt. Er sollte den Patienten präzise und klar über sein Problem befragen. "Nun erzählen Sie mal" ist nach Ansicht von Margraf eindeutig zu wenig. In der Folge muss der Therapeut systematisch überprüfen, ob neben dem geschilderten Problem noch andere psychische Krankheiten vorliegen. Schließlich sollte eine klare Diagnose mit konkretem Therapieplan und festgelegten Zielen folgen.

Weiterführende Informationen

LITERATUR
Jochen Paulus, "Verhaltenstherapie - Der kurze Weg zum Wohlbefinden" Beltz-Verlag, Weinheim 1998, ISBN 3407858213

"Aufstieg der Seelenklempner"
Bild der Wissenschaft, 09/2004, Seite 60

Michael Zick, "Psychotherapie - Erfolgreicher als ein Bypass" Bild der Wissenschaft, 09/2004, Seite 56

Quelle: Lichtblick-newsletter.de vom 20.08.2004

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