Sozialpsychatrie
Gesundheitssystem kaum auf seelische Erkrankungen eingestellt
Erfurt (dpa) - Das deutsche Gesundheitssystem ist nach Ansicht von Experten zu wenig auf seelische Erkrankungen eingestellt. Psychische Störungen würden von Ärzten oftmals nicht erkannt oder als rein körperliche Krankheiten behandelt, sagte Michael Geyer, Chefarzt der Leipziger Universitätsklinik für Psychotherapie und Psychosomatik und Leiter der Akademie für Psychotherapie Erfurt, in einem dpa-Gespräch. "Die Folge sind mitunter jahrelanges Leiden der Betroffenen und hohe volkswirtschaftliche Kosten", sagte er. Die seelische Gesundheit steht im Mittelpunkt der bis Sonntag dauernden Thüringer Gesundheitswoche mit 400 Informations- veranstaltungen. Fehldiagnosen und -behandlungen seelischer Krankheiten über zwei Jahre hinweg kosten nach Expertenberechnungen bis zu 25 000 Mark je Patient. "Dazu kommen Folgekosten wie Krankschreibungen", sagte Geyer. Nach seinen Schätzungen fallen seelisch kranke Patienten bei nicht fachgerechter Behandlung innerhalb von zwei Jahren bis zu 140 Tagen am Arbeitsplatz aus. 30 Prozent der Bevölkerung werden im Laufe des Lebens mindestens einmal ernstlich psychisch krank. Häufigste Leiden sind Depressionen und psychosomatische Störungen wie Rückenschmerzen oder Herzleiden. Immer häufiger treten Essstörungen wie Bulimie (Ess-Brech-Sucht) auf. Die Mängel in der Behandlung seelisch kranker Menschen hängen laut Geyers nicht zuletzt mit dem unausgewogenen Vergütungssystem der Ärzte zusammen. "Das kommt eher der Pharma- und Apparatemedizin zugute", kritisierte er. Weil das Honorarsystem für Hausärzte und Internisten kaum Anreiz für zeitaufwendige therapeutische Gespräche biete, verzichteten viele Praxen darauf. "Das Arzt-Patienten-Gespräch muss sich aber finanziell genauso lohnen wie die Röntgenaufnahme oder der Labortest", forderte der Experte. (ee)
Quelle: Netdoktor.de vom 05.04.2001
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