Depressionen

Postnatale Depression: Immer noch Tabuthema

Stuttgart (dpa) - Depressionen von Müttern nach der Geburt eines Kindes sind nach Ansicht von Medizinern weiter ein Tabuthema. "Viele akzeptieren nicht, dass das Bild der glücklichen Mutter oft nicht zutrifft", sagte Carl-Ludwig von Ballestrem von der Forschungsstelle für Psychotherapie (Stuttgart) im dpa-Gespräch. Nach einer Studie erkrankten vier Prozent der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt an Depressionen, die behandelt werden müssen. Oft werde die Therapie aber aus Angst vor Stigmatisierung nicht angetreten. An der Untersuchung beteiligten sich unter Leitung des Ulmer Professors Horst Kächele 772 Frauen in 18 Monaten. Die Depressionen seien nicht zu verwechseln mit den so genannten Heultagen nach der Geburt. "Etwa die Hälfte aller Frauen haben solche Phasen, die in den ersten zwei Wochen nach der Geburt spontan wieder verschwinden" sagte Ballestrem. Die erkrankten Frauen hätten vielmehr unter Antriebs- und Hoffnungslosigkeit sowie schweren Schuldgefühlen gelitten. "Sie hätten eigentlich psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandelt werden müssen, die meisten ambulant, einige aber auch im Krankenhaus." Nur wenige der Mütter seien aber tatsächlich zu einer Therapie zu bewegen gewesen. "Zum einen hatten sie Vorbehalte gegenüber der Psychiatrie oder Psychotherapie, zum anderen gab es schlichtweg organisatorische Gründe", sagte der Mediziner. Viele der Frauen hätten nicht gewusst, wer ihr Kind etwa während eines Klinikaufenthalts betreuen könnte. "Die Frauen sind in einem schweren Zwiespalt: einerseits fühlen sie sich schlecht, andererseits wollen sie sich um ihr Kind kümmern und nehmen sich keine Zeit für sich selbst", sagte Ballestrem. Würden die Depressionen nicht behandelt, so könne sich das Verhältnis zwischen Mutter und Kind zusehends verschlechtern. Dies wiederum könne zur Verstärkung der Schwermut der Mutter führen. "Wir brauchen ein vielfältigeres Angebot für diese Frauen", sagte Ballestrem. Dazu gehöre etwa die gemeinsame Aufnahme von Mutter und Kind in psychiatrischen Kliniken. Dies sei in Deutschland nur selten möglich.

Quelle: Netdoktor.de vom 30.09.2002

Artikel