Depressionen

Depressive: Zeitgefühl geht verloren

Jena (dpa) - Wer unter Depressionen leidet, verliert nach Erkenntnissen Jenaer Wissenschaftler häufig das reale Zeitgefühl. Bei depressiven Patienten sei nicht nur die Fähigkeit gestört, die Länge einer Zeitspanne richtig einzuschätzen, teilte die Universität Jena am Mittwoch mit. «Auch Pünktlichkeit, Zeiteinteilung und Stressresistenz sind beeinträchtigt», sagte Prof. Brigitte Edeler. Die Psychologin erforscht seit zwei Jahren die Zeitwahrnehmung depressiver Patienten. Depression ist die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung. Nach Angaben von Fachgesellschaften leiden rund vier Millionen Deutsche unter Depressionen. Für das von Edeler geleiteten Forschungsprojekt wurden Depressions-Patienten von Fachkliniken in Thüringen, Bayern, Schleswig-Holstein und Sachsen befragt. «Zum Beispiel empfinden Betroffene bei Verabredungen das Warten als unendlich lange, obwohl es sich tatsächlich nur um wenige Minuten handelt», erläuterte Edeler. Dieses «Zeitlupengefühl» könne in jeder beliebigen Situation auftreten und sei für die Betroffenen quälend. Weil an Depressionen erkrankte Menschen unter Antriebslosigkeit leiden, planen sie ihren Alltag zudem weniger häufig und konkret als psychisch gesunde Menschen. «Deshalb fällt es ihnen auch schwerer, ihre Zeit einzuteilen und sich an Termine zu halten», sagte die Psychologin. Gleichzeitig fühlten sich die Patienten häufig unter innerem Zeitdruck und Stress. Dies sei der Fall, wenn ihre Antriebslosigkeit mit den Anforderungen der Umwelt kollidiere. Hinzu komme ein veränderter Zeithorizont. «Wegen ihres Gefühls, ihre aktuellen Probleme nicht lösen zu können, verklären Depressive oft die Vergangenheit und sehnen sich nach ihr zurück», sagte Edeler. Das Projekt der Jenaer Wissenschaftler soll im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Nach den Patienten wollen sie auch Ärzte befragen. Weltweit leiden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 121 Millionen Menschen an Depressionen. Typisch für die Krankheit sind die scheinbar grundlose traurige Verstimmung der Patienten, anhaltende Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit sowie körperliche Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen. Häufig führt eine Depression zum Selbstmord. Behandelt wird die Krankheit mit Psychotherapie und Medikamenten.

Quelle: Netdoktor.de vom 11.09.2003

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